25.05.2021 ‐ Presse

'Hohes Maß an Selbstkritik ist wichtig'

In ihrem 20. CEO-Jahr sind nicht viele Spitzenmanager in Österreich. Oberbank-Boss Franz Gasselsberger ist einer der wenigen und wurde gerade erneut verlängert. Worum es ihm geht.

 

Quelle: Der Standard, 22.05.2021

STANDARD: Haben Sie aus der Pandemie und aus der fortschreitenden Digitalisierung die Erfahrung gezogen, dass sich Personal einsparen lässt?

Gasselsberger: Ganz und gar nicht. Personal, das durch Digitalisierung eingespart wird, brauchen wir auf der Beratungsseite. Die Nachfrage nach Beratung ist so stark wie nie, ist extrem gestiegen. Sowohl von Firmen- als auch von Privatkundenseite. Wir haben deswegen auch unsere Beratungszeiten ausgeweitet, auf von acht bis 19 Uhr. Das ist dort und da nicht ganz kompatibel mit Freizeitansprüchen.

 

Die Jobprofile haben sich also verändert?

Massiv. Die gute alte Routine etwa eines angesehenen Kassiers gibt’s nicht mehr. Überspitzt könnte man sagen: Gewissenhaftigkeit, Disziplin und Ordnung reichen nicht mehr. Jetzt geht es um Initiative, um aktiven kommunikativen Zugang zu Kunden. Das ist auch genau, womit sich eine Bank künftig positionieren kann. Über digitale Features geht es nicht mehr, das sind Must-haves. Jetzt geht es wirklich um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

 

Ihre Strategie, im Gegensatz zum Bankenmainstream das Filialnetz zu erweitern, ist also weder gestoppt noch on hold?

Weder noch. Wir eröffnen heuer drei neue Filialen. Rund 170 haben wir aktuell. Wie gesagt: Digitalisierung und Beratung schließen einander überhaupt nicht aus – im Gegenteil.

 

Die Attraktivität des Arbeitgebers rückt damit auch ins Zentrum – es geht hauptsächlich um engagierte Leute?

Arbeitgeber definieren sich nicht mehr über ihre Sozialleistungen. Ausschlaggebend ist die Reputation am Markt der Mitarbeiter – und das bedeutet, wie die Leute bei den Veränderungen begleitet werden. Es muss in die Bewertung der Führungskräfte Eingang finden, ob die Personalführung wirklich passt. Fachkompetenz rückt bei Führungskräften jetzt in den Hintergrund, Führungsqualität wird schlagend. Dasselbe gilt für die Gender-Balance. Es reicht auch nicht, Potenzial zu definieren. Die Leute müssen das klare Gefühl haben, dass mit ihrem Potenzial auch etwas Sinnvolles passiert, das wiederum zur Sinnstiftung passt.

 

Hat die Human-Resources-Abteilung mehr Verantwortung?

Ja, und auch die Führungskräfte haben mehr Verantwortung. Die Personalstrategie muss aber vom Vorstand ausgehen.

 

Was ist der kritische Punkt für Führungskräfte, auch für Sie?

Ein hohes Maß an Selbstkritik ist enorm wichtig. Als reifere Führungskraft ist es eine Herausforderung, mit sich ständig verändernden Rahmenbedingungen Schritt zu halten. Ein Fehler ist bestimmt, die Entwicklung von Neuerungen zu delegieren. Für mich ist das extrem spannend.

 

Wie erfolgreich ist in der Zwischenbilanz Ihre Genderstrategie?

Wir wollen bis 2025 rund 30 Prozent Frauen in Führung. Aktuell halten wir bei 24 Prozent – ich bin zuversichtlich! 80 Prozent der Nachbesetzungen wollen wir aus den eigenen Reihen schaffen. Das ist insofern relevant, als in den kommenden zehn Jahren 150 Führungskräfte bei uns in Pension gehen werden. Potenziale wirklich zu heben ist also für uns extrem relevant. Es geht darum, Führung sichtbar zu machen. Wir sind da auch konsequent, wenn eine Führungskraft sich nicht als Führungskraft erweist.

 

Sie wurden jüngst auf weitere fünf Jahre als CEO bestellt. Gibt es eine definitive Erkenntnis für die Branche?

Ja. Wegen zu viel Personal und zu hoher Marketingaufwendungen ist noch keine Bank in Probleme geraten. Personalabbau ist nie eine nachhaltige Lösung der Problematik einer Bank.