Eskalation in Nahost, was macht der Ölmarkt?

Nach dem Angriff der radikalislamischen Terrororganisation Hamas auf Israel dauert der Kriegszustand, den Israel infolgedessen ausgerufen hat, weiterhin an. Der Angriff erfolgte nur einen Tag nach dem 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Kriegs. Damals reagierten die arabischen Länder mit einem Ölembargo gegen die USA und andere westliche Staaten, da sie damals Israel im Krieg gegen Ägypten und Syrien unterstützen. Dies führte dazu, dass sich der Ölpreis innerhalb weniger Wochen vervierfachte. Ältere Generationen erinnern sich an Benzinrationierungen und autofreie Sonntage.

 

Der Zeitpunkt des Embargos war gut gewählt, denn Mitte Oktober steht in Europa der Winter vor der Tür. Öl war damals noch neben der Kohle die mit Abstand wichtigste Energiequelle und zentraler Rohstoff für die chemische Industrie. Das „Wirtschaftswunder“ nach dem 2. Weltkrieg sorgte dafür, dass sich der weltweite Ölverbrauch zwischen 1960 und 1972 mehr als verdoppelte. Und auch die Atomkraft stand Anfang der 1970er-Jahre gerade erst am Anfang. Nun besteht aktuell die Sorge, dass es bei einer Ausbreitung des Krieges erneut zu weiteren kräftigen Ölpreisanstiegen kommen könnte. Wie realistisch ist dieses Szenario?

 

Damals wie heute gehören die Länder rund um den Persischen Golf noch immer zu den wichtigsten Erdölproduzenten der Welt. Unter den zehn wichtigsten Erdölförderern sind mit Saudi-Arabien, dem Irak, den Vereinigte Arabische Emirate (VAE), Kuwait und dem Iran immerhin die Hälfte aus der Golfregion. Zusammen machen sie knapp 33 % des weltweiten Angebots aus und sind nahezu alle in der OPEC mit Sitz in Wien vertreten. Zudem werden auch wichtige Seestraßen und Meeresengen von einzelnen OPEC-Staaten kontrolliert, die nicht nur für den Transport von Rohöl wichtig sind, sondern auch eine große Bedeutung für den globalen Güterverkehr. Zu nennen sind hier beispielsweise die Straße von Hormus oder die Meeresstraße Bab al-Mandeb, die das Rote Meer mit dem Golf von Aden verbindet. Beides sind wichtige Nadelöhre des Erdölmarktes und beide werden direkt oder indirekt vom Iran kontrolliert.

 

Tabelle Ölproduktion 2022

Quelle: Statistical Review of World Energy

 

Trotz der immensen Marktmacht, die die Golfregion in Bezug auf den Ölmarkt auch heutzutage noch innehat, gibt es tatsächlich deutliche Unterschiede zur Situation vor 50 Jahren, die eine vergleichbare Preisexplosion unwahrscheinlich machen.

 

Der damalige war ein anderer. Damals griffen Syrien und Ägypten, unterstützt durch weitere arabische Länder, Israel an. Heute kämpft Israel gegen keinen benachbarten Staat, sondern gegen die Hamas. Da es bisher zu keiner Unterstützungserklärung seitens der arabischen Länder gekommen ist, die Beziehung von Saudi-Arabien und den VAE zu Israel hatten sich zuletzt eher verbessert, ist aktuell nicht davon auszugehen, dass es zu Einschränkungen des Ölangebots durch die Golfstaaten kommen wird. Einzige Ausnahme ist dabei der Iran. Als einziges Land hatte es den Angriff der Hamas auf Israel ausdrücklich begrüßt. Zudem unterstützen sie die weitaus größere Terrormiliz Hisbollah im Südlibanon, die ebenfalls Angriffe auf Israel durchführt.

 

Zwar gibt es schon umfangreiche Sanktionen gegen das Mullah-Regime, das seit mehreren Jahren eigentlich kein Öl mehr ausliefern dürfte, tut es aber. Und zwar in Höchstmengen von 1,1 Millionen Barrel pro Tag. Wahrscheinlich nach China oder Indien, die keine Angst vor US-Sanktionen haben. Die USA dürften dabei bewusst wegsehen, um den Rückgang des Ölangebots durch die OPEC auszugleichen. Sollten diese Sanktionen wieder voll durchgesetzt werden, würde das auf jeden Fall zu Anspannungen am Ölmarkt führen. Eine Preisexplosion infolge einer akuten Verknappung würde es vermutlich jedoch nicht auslösen.

 

Auch ist die Abhängigkeit vom arabischen Öl in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken. Gerade die USA sind durch die Förderung von Schieferöl zum führenden Ölproduzenten aufgestiegen. Lagen die US-Rohöleinfuhren aus Saudi-Arabien vor 10 Jahren noch bei 1,5 Mio. Barrel pro Tag, sind es heute nur noch knapp 400 Tsd. Barrel. Und auch in Europa setzt man spätestens seit Russlands Krieg in der Ukraine sowohl auf vielfältigere Energieträger als auch auf eine breitere Streuung der Bezugsländer. Die OPEC-Staaten müssten also befürchten, dass man bei einem erneuten Embargo dauerhaft Marktanteile verlieren würde.

 

Schlussendlich sollte man bei der Sorge um die Energieversorgung und der Preisentwicklung hierzulande nicht vergessen, dass die schlimmste Folge der Nahost-Konflikte das humanitäre Leid der Menschen in den betroffenen Regionen ist.

 

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Pascal Günzkofer B.A.

Fotoquelle: Hermann Wakolbinger

 

Autor:

Pascal Günzkofer B.A.

Treasury und Handel, Oberbank AG